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brand eins, April 2009                                                                                               zurück zur Übersicht

Im Graubereich

Alte sind interessante, aber auch schwierige Kunden. Unternehmen tun sich schwer damit, sie zu gewinnen.
Etwas gesunder Menschenverstand könnte helfen.

"Seit ich 60 bin, habe ich jeden Tag irgendwelche Werbung im Briefkasten. Neulich rief eine Callcenter-Frau an und wollte mir Gesundheits-Drinks verkaufen. Ich sagte: Mir fehlt nichts. Das ging dann hin und her. Irgendwann war die Frau ganz verzweifelt und sagte: Aber Sie sind doch über 60, irgendein Zipperlein müssen Sie doch haben. Da habe ich empört aufgelegt. Zipperlein! Wofür hält die mich eigentlich?" Therese D., Konsumentin, Köln

- Die Alten kramen an der Supermarktkasse ewig nach Kleingeld. Sie kaufen nur das Nötigste und was sie kennen. Sie setzen keine Trends. Sie taugen nicht als Vorbilder. Irgendwann fangen sie an zu riechen und fahren schließlich in die Grube.

So denkt man in vielen Unternehmen über Kunden jenseits der 50 und tut sie als Generation Seniorenteller ab. Entsprechend ist das Angebot. Cornelius Herstatt, Professor für Innovationsmanagement an der Technischen Universität Hamburg-Harburg, konstatiert eine "phänomenale Zurückhaltung" auf dem Seniorenmarkt. "Es wird viel geredet. Aber gemacht wird wenig." Er befragte deutsche Unternehmen in Japan, dem Land mit der ältesten Bevölkerung der Erde, wo das Potenzial dieser Zielgruppe unübersehbar ist. Dennoch betrachteten mehr als die Hälfte der befragten Firmen Senioren als unwichtig oder nicht sehr wichtig für ihr Geschäft. Mehr als 80 Prozent entwickelten keine Produkte für diese Kundengruppe, mehr als 90 Prozent ließen Senioren bei Marketing-Recherchen außen vor.

Hierzulande ist es nicht anders. Warum sind die Gänge von Supermärkten derart mit Waren vollgestellt, dass niemand mit Gehproblemen mehr durchkommt? Warum telefonieren Senioren so wenig mit ihren Handys, sofern sie überhaupt welche haben? Warum gibt es nur in Spezialgeschäften modische Kleidung für Ältere? Warum haben Industrie und Handel die Alten so wenig auf dem Schirm? Wie kann man nur so blind sein?

Knapp 40 Prozent aller Deutschen sind älter als 50 Jahre, bis zum Jahr 2035 wird ihr Anteil auf 50 Prozent steigen. Schon heute bestreitet die Generation 50 + rund die Hälfte der Konsumausgaben etwa bei Reisen, Kleidung und Nahrungsmitteln, ein Fünftel von ihnen hat mehr als 50 000 Euro auf der hohen Kante. Über 50-Jährige haben eine Kaufkraft von mehr als 700 Milliarden Euro jährlich und liegen damit nur rund 80 Milliarden unter der von Kunden zwischen 20 und 49 Jahren. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger sind 20- bis 49-Jährige in keiner Gütergruppe eine Wachstumszielgruppe. Und die Lebenserwartung steigt. Schon die heute 60-Jährigen werden im Schnitt noch 23 Jahre leben - also auch konsumieren.

Da winken interessante Geschäfte. Dass sie nicht angebahnt werden, liege daran, dass die Planungshorizonte in den Betrieben oft nur drei Jahre in die Zukunft reichten, sagt Per Breuer von Roland Berger. "Die Welt der Alten ist gefühlt noch weit weg. Unternehmen probieren vielleicht mal etwas aus; dann kommt letztlich nur so etwas wie ein klobiges Seniorenhandy heraus, das keiner kauft. So gibt es keine guten Vorbilder, also auch keine Nachahmer. Am Ende herrscht weitgehend Stillstand."

So ist es vermutlich kein Zufall, dass ein japanisches Unternehmen auch auf dem deutschen Seniorenmarkt einen Coup mit einem Produkt landete, das man erst einmal gar nicht mit Alten verbindet. Der Spielekonsolenhersteller Nintendo schaffte mit Nintendo Wii und Nintendo DS den Einstieg in diesen lukrativen Markt. "Wir haben den demografischen Wandel schon vor fünf Jahren gespürt", sagt Bernd Fakesch, Nintendo-Geschäftsführer in Deutschland. "Wir mussten raus aus der Falle , jung und männlich'."

Nintendo forschte nach in Altersheimen und Mehrgenerationenhäusern und stellte fest, dass den Älteren sowohl Steuerung als auch die Spiele selbst zu kompliziert waren. Die Lösung: Bei den neu entwickelten Spielen müssen keine Knöpfe mehr gedrückt werden: Sie werden durch Bewegung gesteuert - und sind so intuitiv verständlich. Wer bowlen will, bowlt. Wer Tennis spielt, schlägt einen imaginären Ball. Wer boxt, prügelt durch die Luft.

"Man kann einfach loslegen", sagt Fakesch. Nintendo hat deutschlandweit bereits 5,2 Millionen DS-Konsolen und zwei Millionen Wii-Anlagen verkauft. Ein Drittel der DS-Käufer ist älter als 30 Jahre, ein paar Hunderttausend Käufer sind älter als 50. Bei Wii liegt das Durchschnittsalter bei 30 Jahren. Beides wird in Familien gemeinsam gespielt. "Spaß, Miteinander, etwas Sinnvolles tun - wir haben Grundbedürfnisse von Älteren analysiert und uns gefragt, wie das bei Körper und Geist eine Rolle spielen kann", sagt Fakesch. "So haben wir offensichtlich die richtigen Produkte gefunden."

Die Herausforderung fürs Marketing: Senioren mögen alles Mögliche - nur nicht alt sein

In Deutschland will das Bundesministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend Unternehmen auf die Spur setzen. "Wirtschaftsfaktor Alter - Unternehmen gewinnen" heißt das seit Mitte 2007 laufende Programm. Gefördert mit vier Millionen Euro, sollen eine Geschäftsstelle und ein Internetportal Unternehmen untereinander und mit Senioren vernetzen und neue Ideen fördern. An der zögerlichen Haltung vieler Unternehmen hat das bislang wenig geändert.

"Wir leben in einer Umbruchsituation", sagt Gundolf Meyer-Hentschel, Inhaber des gleichnamigen Instituts für Seniorenmarketing in Saarbrücken. "Der demografische Wandel verändert die Spielregeln. Auf einmal bestimmt mit den Senioren eine Gruppe, die es niemals zuvor in dieser Menge und mit dieser Marktmacht gab. Unternehmen reagieren oft sehr langsam darauf. Ihnen fehlt schlichtweg die Erfahrung."

Anders ist das bei Produkten und Dienstleistungen für Gebrechliche. Dieser Markt ist leicht zu verstehen - wer pflegebedürftig wird, muss sich helfen lassen. In Deutschland leben 2,1 Millionen Pflegebedürftige, mehr als zwei Drittel von ihnen werden zu Hause versorgt. Weil die Pflegeversicherung längst nicht alle Kosten deckt, hat sich ein gigantischer Schwarzmarkt entwickelt. Pflegerinnen aus Osteuropa lösen einander ab im Takt ihrer dreimonatigen Besucher-Visa. Dieter Lang, Referent für Senioren und Pflege beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, schätzt die Zahl illegaler Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland auf mehr als 150 000. "Und da sind die Haushaltshilfen noch nicht eingerechnet."

Eine illegale Pflegekraft kostet demnach um die 700 Euro im Monat, ein Viertel einer legalen deutschen Pflegerin. "Die Kasse zahlt zwar maximal 2500 Euro", sagt Lang, "aber nur, wenn eine Krankheitsdiagnose vorliegt." Kassenpflege gibt es außerdem nicht 24 Stunden am Tag. Und wie sollen die betreuenden Kinder die horrenden Pflegekosten aufbringen, wenn sie sich um ihre Eltern kümmern müssen, statt zu arbeiten?

Hinzu kommen die knapp 700 000 Alten, die in Heimen oder Seniorenresidenzen leben und deren Zahl in Zukunft beträchtlich steigen dürfte. Nach Langs Erfahrung gibt es in dieser Branche etliche unseriöse Anbieter, die die Lage ihrer Kunden ausnutzen. Wer in ein Heim zieht, zahlt neben den Kosten für Wohnen, Pflege und Ernährung häufig auch monatlich 500 bis 1000 Euro hohe "Investitionskosten". Das ist legal, doch Lang vermisst Transparenz. "Ich wundere mich, wie niedrig die Mieten oft sind. Bei genauerer Betrachtung sind dann die Investitionskosten besonders hoch. Die Frage ist eben, wie man die Senioren in seine Einrichtung locken will." Ein weiterer Faktor sind überteuerte Serviceverträge, etwa für Pflegedienste. Dahinter steht offenbar das Kalkül: Wenn ein Bewohner diesen Service braucht, ist er in aller Regel nicht mehr in der Lage, auszuziehen.

Das Geschäft mit den Hochbetagten ist eine sichere Bank, doch jüngere Alte sind vielen Unternehmen offenkundig nicht geheuer. Wer Senioren offensiv anspricht, so eine Befürchtung, könnte junge Kunden vergrätzen. Und lohnt es sich überhaupt, Senioren als Kunden zu binden, da die ja ohnehin bald sterben? "Wir haben kein positives Altersbild", sagt Meyer-Hentschel vom Institut für Seniorenmarketing. "Kaum ein Unternehmen weiß, was es sich unter Senioren überhaupt vorstellen soll." Im Ergebnis ignoriere man diesen Kundenkreis oder versuche, ihn mit allerlei Typologien zu fassen.

Damit wiederholen Werber und Marketingleute, was schon im Jugendmarketing wenig geholfen hat (s. auch brand eins 02/2005). Clevere Kosmopoliten, Vergnügungssüchtige, illiquide Traditionalisten, gemäßigte Fremdenfeinde, apathische Alte - so sortiert der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft die Generation 50 +. Für Meyer-Hentschel ist das vor allem ein Zeichen von Unsicherheit. "Was feststeht, ist lediglich die körperliche Leistungsfähigkeit und das Geld, das Senioren ausgeben können. Ansonsten sind Senioren dermaßen heterogen. Die haben mindestens 40 Jahre Konsumerfahrung. Denen kann man keinen Kappes mehr erzählen."

Senioren bieten keine leicht steuerbaren Konsumprofile - aber sie haben Bedürfnisse. Sie wollen eingebunden sein, gerade weil es keine Kollegen mehr gibt oder die Kinder aus dem Haus sind. Sie wollen vernünftig und ehrlich beraten werden. Sie wollen selbstständig ihr Leben bewältigen, solange es eben geht. Sie wollen Komfort und Stil, aber wenn sie ein Produkt kaufen, muss es ihnen auch etwas nützen.

Eigentlich sind das genügend Ansatzpunkte für Unternehmen, um auf dem Seniorenmarkt zu punkten. Wenn da nur nicht das wäre, was Senioren auf keinen Fall wollen: alt sein. Es ist genau dieser eine Punkt, der den Seniorenmarkt so einzigartig schwierig macht.

Bedienerfreundliche Technik macht die Alten froh. Und die Jungen ebenso

"Was sich jetzt abspielt, ist beispiellos", sagt Heinz Grüne, Psychologe und Geschäftsführer des Kölner Marktforschungsinstituts Rheingold. "Wer heute alt wird, hat nur in prosperierenden Zeiten gelebt. Entsprechend sind die eingeschliffenen Konsummuster. Die Leute fügen sich nicht in ihr Alter. Das hat es so noch nie gegeben." Für Grüne führt das zu einer "bizarren Konstruktion" zwischen Anbietern und Kunden. Senioren fühlten sich heute im Schnitt zehn Jahre jünger, als sie wirklich seien. "Sie haben ein Leben auf der Partymeile geführt, und sie sind die erste Generation, die auf der Partymeile auch durchhalten will. Das aber kollidiert mit dem körperlichen und geistigen Verschleiß, dem auch sie unterliegen. Daraus resultiert ein unbewusster Wunsch nach Hilfe, den man nicht laut äußern darf."

Grüne nennt das den Wunsch nach "verdeckter Prothetik". Und sieht viel Potenzial für entsprechende Produkte und Services: "Unternehmen können helfen, auf der Partymeile zu bleiben oder ohne Gesichtsverlust auszusteigen." Nur: Kein Senior möchte zugeben, dass er ein solches Produkt braucht, also darf auch kein Anbieter es entsprechend bewerben. Genau das sei das Verlogene, so Grüne: "Bei Senioren geht es um Angebote für einen Zustand, der von Kunden und Anbietern verleugnet wird."

Deswegen gleicht der Umgang zwischen Unternehmen und Senioren oft einem Versteckspiel. Am erfahrensten dabei ist die Automobilindustrie. Wie andere Hersteller steckt Ford seine Entwickler in spezielle Anzüge, damit die Jungen spüren, wie schwer viele Bewegungen im Alter fallen, wie Sehvermögen und Tastsinn schwinden. Die Konsequenz für den Autobau: höhere Sitze für den bequemeren Ein- und Ausstieg, verstellbare Pedale, Scheinwerfer, die nach dem Ausschalten noch eine Weile leuchten, damit der Senior zur Haustür findet. Und die Handbremse funktioniert mit Rücksicht auf die schwindenden Kräfte auf Knopfdruck. "Doch ausgewiesene Seniorenautos werden wir niemals bauen", sagt Monika Wagener vom Ford Forschungszentrum in Aachen. "Das wären Ladenhüter." Stattdessen bewirbt auch Ford diese Autos als Familienwagen mit Platz und Komfort. Denn was gut für Alte sei, nütze ja auch den Jüngeren.

"Universal Design" - für den Arzt und Elektroingenieur Herbert Plischke ist das ein vielversprechender Ansatz. Er ist Geschäftsführer des Generation Research Program der Ludwig-Maximilians-Universität in München. "Barrierefreie Produkte sind ein guter Einstieg, wenn man den Markt nicht richtig einschätzen kann." Auf Gebrauchstauglichkeit und intuitive Bedienung komme es an. Das beste Seniorenhandy ist für ihn das schicke iPhone von Apple. Wenn man das Handy beim Fotobetrachten dreht, dreht sich das Foto automatisch mit. Wer umblättern will, kann das wie bei einem realen Fotoalbum mit dem Finger tun.

Universal Design gilt bei technischen Produkten als Königsweg zu den Senioren. Das sieht auch Andreas Enslin, Chefdesigner bei Miele, so. Er weist auf einen Bruch in der Gestaltung von Geräten Anfang der achziger Jahre hin. "Mit der Einführung des Computers hat die Mittelbarkeit das Unmittelbare gebrochen. Da konnte man nicht mehr einfach einen Schalter drehen, und es passierte etwas. Oder es klemmte eben. Man hat nur noch Knöpfchen gedrückt, und was dann geschah, hat der Nutzer nicht mehr verstanden. Der Punkt ist aber: Die heute Älteren haben dieses Mittelbare nie gelernt; sie erwarten etwas anderes. Sie wollen sich für die Technik nicht mehr verbiegen."

Miele legte im August vergangenen Jahres die Linie "Klassik" auf - Waschmaschinen und Trockner mit hinterleuchtetem Drehschalter und wenigen Programmen, die hörbar einrasten. In kürzester Zeit waren einige Tausend Exemplare verkauft, so viel schaffen sonst nur Testsieger. "Warum", so Enslin, "sollen wir Hochkomplexes erfinden, wenn es vorhandene Erwartungen bei den Nutzern gibt?" Eine nahe liegende Frage, die sich viele Unternehmen wohl auch deshalb nicht stellen, weil Kunden selten protestieren. Sie verzichten einfach auf Konsum - ein Grund für das große Sparvermögen der Senioren.

Wer da ran will, muss sich Gedanken machen. Wie Edeka Nordbayern-Sachsen-Thüringen mit dem "Supermarkt der Generationen". Begonnen hat es 2005 mit einem Geschäft in Chemnitz. Eigentlich ein ganz normaler Supermarkt, nur dass die Gänge breiter sind und einen rutschfesten Belag haben. Die Etiketten sind besonders groß, und die Waage kann sprechen. An den Regalen hängen Lupen - für das Kleingedruckte auf den Verpackungen. Die Regale sind nur 1,60 Meter hoch, und an neuralgischen Punkten wie der Annahmestelle für Leergut gibt es einen Serviceknopf, mit dem man einen Angestellten rufen kann. Wer eine Pause braucht, findet Bänke und Zeitungen.

Viele Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen. Nach dem Umbau der Filiale verzeichnete man 1000 Einkäufe mehr in der Woche, und der Durchschnittsbon fiel um zwei Euro höher aus. "Wir konnten auch wohlhabendere Kunden zu uns locken", sagt die Edeka-Sprecherin Ulrike Stöcker. Mittlerweile wurden 40 Märkte entsprechend umgebaut. Wo immer künftig einer der rund 1500 Läden in der Region modernisiert wird, soll das neue Konzept verwirklicht werden. Auch dies ein Beispiel für Universal Design, das Alten und Jungen das Leben leichter macht.

Bleibt das weite Feld der Wünsche und all der Produkte, die man nicht braucht, aber vielleicht gern hätte. Ein gigantischer Markt - und das klassische Aufgabenfeld der Werbung. Doch wie Alte ansprechen, die partout nicht alt sein wollen? Indem man sie, so die nahe liegende Antwort des Marketings, als jung inszeniert. Oliver Krippahl von der Hamburger Senioren-Werbeagentur Loma Linda hält das für einen Fehler. "All diese Segel-jacht-Rentner im Fernsehen und in Zeitschriften, damit lassen sich die Leute doch nicht verarschen. Die haben genug von aufgestülpten Image-Welten. Bei Senioren kommt man mit , cool' nicht weiter, denn es geht ihnen nicht um Außendarstellung."

In der Tat ziehen die TV-Spots bei Senioren offenbar nicht nur ein Drittel der über 65-Jährigen fühlt sich von Fernsehwerbung ernst genommen. Krippahl plädiert deshalb für "maximale Individualisierung und Werbung mit echten Leuten, die sich nicht für ihr Alter schämen". Loma Linda wirbt für eine Pflegestation mit echten Heimbewohnern und veranstaltet im Auftrag eines Stifte-Herstellers Vorleseabende. Für den Menü-Bringdienst eines Pflegeheims haben die Werber einen Bus plakatiert, der am Firmensitz vorbeifährt.

Kleine Beispiele, die die Richtung für die erfolgreiche Kommunikation mit der Zielgruppe vorgeben. "Das Marketing muss höflicher werden", fordert Gundolf Meyer-Hentschel, "und vor allem ehrlicher. Die Leute brauchen Antworten auf ihre täglichen Probleme und Angebote, die es ihnen ermöglichen, in Würde selbstbestimmt zu altern. Man muss den Leuten wieder begründen, warum sie von einem Produkt einen Nutzen haben. Es geht um Realismus. Grauhaarige Models haben wir genug."

Peter Brügmann, Geschäftsführer von BBDO Sales, dem Vermarktungsspezialisten der Gruppe, stößt ins gleiche Horn: "Kommunikation mit Senioren bedeutet, ein Informationsbedürfnis zu befriedigen." Er hält Alte für eine dankbare Zielgruppe. "Das sind endlich mal Leute, die rationalen Argumenten zugänglich sind. Zuverlässigkeit, Respekt, Ruhe und Seriosität sind entscheidend. Wenn sich ein Älterer gut beraten fühlt, sorgt er auch für Mundpropaganda. Familie und Freunde sind in diesem Markt viel wichtiger als Werbung vonseiten der Anbieter."

Silberköpfe und Internet - auch das geht zusammen

Das weiß man auch beim Kölner Treppenliftehersteller Lifta. "Rund 40 Prozent unseres Geschäftes beruhen auf direkten Empfehlungen durch die Bestandskunden", sagt Geschäftsführer Axel Jaschek. Und das bei einem Produkt, das niemand gern kauft und das im Vergleich zur Konkurrenz um bis zu 30 Prozent teurer ist. Lifta hat mit einem Jahresumsatz von 60 Millionen Euro in Deutschland einen Marktanteil von 50 Prozent, den Rest teilen sich rund 160 Konkurrenten.

Das Geheimnis des Unternehmens: Es nimmt seine im Schnitt 78 Jahre alten Kunden ernst. Die Werbung zeigt nichts anderes als Senioren auf Treppenliften. Lifta akquiriert nicht kalt; im Callcenter gibt es keine festgelegten Taktzeiten, keine Verkaufsvorgaben, kein Band zum Draufsprechen. Auch im Außendienst legt man Wert auf Seriosität. "Jeder Monteur trägt gehobene Freizeitkleidung. Mit dem könnten Sie auch in die Kirche gehen", sagt Jaschek. Wenn es sein muss, dübelt der Lifta-Mann auch mal ein Bild an die Wand. "Das kostet nur zehn Minuten, bringt uns aber enormen Nutzen", so der Chef. "Man muss Erwartungen übererfüllen, damit man empfohlen wird. Und wenn man empfohlen wird, ist der Neukunde nicht mehr so preissensibel. So ergibt sich ein positiver Schneeballeffekt."

Den befördert Lifta eifrig. Rund 20-mal im Jahr lädt das Unternehmen 100 Kunden in Hotels zu Kuchen und Lyriklesungen ohne Verkauf und Prospekte. "Das ist ganz wichtig", sagt Axel Jaschek. "Alte Leute werden ja nicht mehr so oft eingeladen. Das wirkt dann mindestens so gut wie ein nebenbei montiertes Gartentor."

Wer die Wünsche und Bedürfnisse von alten Leuten erkennt, kann auch an einem Ort punkten, wo man sie am wenigsten vermutet: im Internet. Das Portal Feierabend.de - mit 140 000 Mitgliedern, einem Altersschnitt von 61 und mehr als sechs Millionen Seitenabrufen monatlich - zeigt, wie es geht. "Wir wollen einfach nur vernetzen", sagt der Gründer Alexander Wild über seine Firmenidee. "Wir geben den Leuten das Werkzeug an die Hand, den Rest machen sie dann schon selbst." Vor zehn Jahren hat Wild den werbefinanzierten Feierabend gestartet, zu einer Zeit, als von Facebook oder StudiVZ noch keine Rede war. Er hat einen Nachrichtenticker installiert, dazu Foren und Chats -und früh erkannt, dass es Senioren nicht um unverbindlichen Schwatz, sondern um reale Beziehungen geht. Aus dem Netz heraus haben sich rund hundert regionale Gruppen gebildet, deren Mitglieder sich mindestens monatlich in der wirklichen Welt treffen. Die Firma schult sogenannte Regionalbotschafter, die selbstständig für Aktivität sorgen und auf Feierabend.de darüber berichten. Was die Leute dauerhaft an das Portal bindet.

Alexander Wild verbindet moderne Technik mit traditionellen Werten wie Verbindlichkeit. Es gibt eine Gratistelefonnummer, über die die Redaktion des Portals zu erreichen ist. Mitunter gehen dort täglich auch einige Hundert E-Mails ein, die laut Wild alle beantwortet werden. Ab und an trinkt er bei einem Regionaltreffen ein Bier mit seinen Kunden. Und hört aufmerksam zu. So ist er auch auf die Sache mit dem virtuellen Poesiealbum gekommen. "Das Ding ist unsere absolute Killerapplikation."

Heute setzt die Generation 50 + die Trends. Sie zu ignorieren wäre dumm

Es gibt noch viele weitere Bedürfnisse für eine alternde Gesellschaft zu entdecken, etwa im Wohnungsbau. Heutzutage ist lediglich ein Prozent des Immobilienbestandes in Deutschland barrierefrei gebaut. Weil immer mehr Menschen möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden leben wollen, entsteht ein ganz neuer Immobilienmarkt.

Christian Otto, Projektleiter Strategie bei der Hochtief Construction AG, bemüht sich darum, diesen Markt zu verstehen. Er sagt: "Früher haben wir Altenheime gebaut. Aber es reicht nicht mehr, nur eine Gebäudehülle hinzustellen. Wir wollen Wohnmodelle für die Zukunft finden. Das können auch ganz kleinteilige Wohnformen sein, ein ganz buntes Bild. Die Zukunft liegt im Quartiersgedanken." Er meint damit, dass alte Menschen in ihren Wohnungen bleiben können, weil es in ihrer Nachbarschaft vielerlei Unterstützung gibt. Bringdienste, Pflegestationen, ehrenamtliche Helfer, Orte, wo man sich treffen kann; dazu breite, helle Wege, auf denen sich auch Frauen und Kinder sicher fühlen. Ein großes Thema für die Stadtplanung, aber auf den ersten Blick nichts, womit ein Baukonzern Geld verdienen könnte. Und doch unterstützt Hochtief zwei Quartiersprojekte in Remscheid und Essen. Der Konzern plant ohne Bezahlung Straßen, Grünflächen und Bahnlinien, in Stadtteilen, die man nicht gerade als wohlhabend bezeichnen könnte.

Das macht Sinn, wenn man langfristig denkt. "Wir lernen, worauf es bei Quartieren ankommt", sagt Christian Otto. Dass es eben nicht nur um Bodenrichtwertkarten geht, sondern auch darum, dass Pensionäre den Nachbarskindern Nachhilfe geben können und dafür Räume benötigen. Dass junge Familien auch deshalb gern Senioren in der Nachbarschaft haben. Dass ältere Leute nicht nur unter ihresgleichen leben möchten. Wie man ein Café platziert, damit es viel genutzt wird. Wie man ein Wohnhaus so gestaltet, dass es sich zur Umgebung hin öffnet.

Die Alten werden künftig nicht nur für die Immobilienwirtschaft Trends setzen. Klug ist, wer die Zeichen der Zeit erkennt und Lösungen parat hat. Weil schon jetzt immer mehr betagte Menschen nochmals die Wohnung wechseln. Weil viele Grundstücke für Projektentwickler von den Städten verteilt werden -und Kenntnisse in der Quartiersentwicklung die Chancen auf den Zuschlag erhöhen. Und was im geförderten Wohnungsbau einen Sinn ergibt, ist bei frei finanzierten Projekten ebenfalls nicht verkehrt. "Mit einem intakten Quartier erhöht sich der Wert einer Immobilie", sagt Otto. Das muss sich nicht sofort in höheren Verkaufspreisen niederschlagen. Aber in zufriedenen Kunden, die durch Empfehlungen für Neuaufträge sorgen.

So heterogen die Alten auch sind, eines haben sie gemeinsam:
Sie öffnen die Türen zu neuen Märkten. Eigentlich muss man nur hindurchgehen.

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