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brand eins, April 2006                                                                                                       zurück zur Übersicht

Von Mensch zu Mensch

Peter Langner ist seit mehr als 40 Jahren Verkäufer.
Die Kunden mögen ihn, und er mag sie.
Wie er das schafft?
„Es ist einfach in mir drin.“                       

Eigentlich wäre Peter Langner gern Panzer gefahren, damals in seiner Bundeswehrzeit. Aber da war die Sache mit dem Sehfehler. Heute ist er ein Mann, dem ältere Frauen selbst gestrickte Socken bringen, aus Wolle, die er ihnen verkauft hat. „Gucken Sie mal, wie toll die geworden sind!“, sagen sie. Langner lächelt dann und guckt. „Auch viele junge Frauen stricken wieder“, sagt er und wundert sich ein bisschen darüber.

Langner ist Verkäufer im Kaufhof in Essen, Abteilung „All you need“. Früher hieß das Kurzwaren und Heimwerkerbedarf. „Heute ist ja alles Englisch“, sagt der 59-Jährige, der seit mehr als 40 Jahren Verkäufer ist. Seine Welt liegt im Untergeschoss des Warenhauses. Rechter Hand stehen die Regale mit Wollknäueln, Stricknadeln, Druckknöpfen, Lederflicken, Hosenträgern. Links Klebstoff, Abtönfarben, Zangen, Dübel und Duschköpfe.

Jeden Tag fährt Peter Langner mit der S-Bahn zur Arbeit. Um halb zehn macht er die Kasse klar, dann gibt’s Frühstück. Anschließend räumt er Regale ein und berät Kunden. Er spricht jeden Tag mit bis zu 500 Menschen. Er hat 20 Minuten Frühstückspause, 50 Minuten zur Mittagszeit und noch einmal 20 Minuten gegen 17 Uhr, wenn er bis 20 Uhr arbeitet, also dreimal die Woche. „Das macht mir nichts, das ist mein Beruf.“

Im vergangenen Herbst hatte er einen leichten Herzinfarkt. Er hat das erst gar nicht gemerkt, aber vor zwei Wochen ist er auf der Rolltreppe zusammengeklappt. Deshalb empfängt Langner Besucher im Moment zu Hause auf der Wohnzimmercouch. Er sorgt dafür, dass immer Wasser im Glas ist und bietet selbst gestopfte Zigaretten an. An den Wänden hängen Sonnenuntergänge und Familienfotos. Viele Fotos. Seine Frau, die drei Kinder.

Warum ihm das Verkaufen Spaß macht? Langner überlegt lange und greift sich ans Kinn. „Menschen haben ein Bedürfnis, wenn sie zu mir kommen“, sagt er. „Mir macht es einfach Spaß, den passenden Artikel zu vermitteln, mein Wissen weiterzugeben. Ja, das ist es wohl.“

Er ist keiner, der großartig analysiert, was er macht. Er macht einfach. Vorhin, zur Mittagszeit an der Bushaltestelle, als er seinen Besucher abholte, fragte ein Mann nach dem Bus zum Krankenhaus. Langner hätte einfach die Nummer nennen können, erklärt stattdessen aber ganz genau den Weg. Zu Hause auf der Couch sagt er: „Dass man sich interessiert, das muss wohl angeboren sein. Es ist einfach in mir drin.“

Ein guter Verkäufer muss auch Bescheid wissen. Wollknäuel sind eigentlich nicht Langners Sache. „Selbst stricken kann ich nicht, das sag’ ich auch ganz offen.“ Aber er hat sich eingelesen, in ruhigen Minuten, abends an der Kasse. Und mit den Fachfrauen aus der Stoffabteilung gesprochen. „Ich will schließlich beraten, und je mehr ich weiß, desto sicherer macht es mich.
Noch heute ist Peter Langner seinem alten Lehrherrn, Radio-Reschke in Dortmund („braune Ware, weiße Ware“), dankbar. Der Meister baute absichtlich Fehler in Radios und Waschmaschinen ein, der junge Langner musste sie finden und darüber Berichte schreiben. Das fand er gut, denn da ging es um Technik. Auf die Kunden wurde er erst später losgelassen. „Das FrageAntwort-Spiel ist mir gleich leicht gefallen“, erinnert sich Langner. „Nach einem halben Jahr wusste ich: Verkaufen macht Spaß.“ Er, der Funkamateur, der eigentlich die Technik liebte, wurde zum Menschenfischer.

Bei Radio-Reschke kam das gut an. Und als Langner nach ein paar Jahren in ein Warenhaus wechselte, machte er einfach so weiter. Einmal baute er einem Kunden eine Feinsicherung ins defekte Kofferradio. Da sagte sein Chef: „Wir sind nicht hier zum Reparieren, sondern zum Verkaufen.“ Noch heute fasst sich Langner an den Kopf. „Der Kunde war damit so zufrieden, der hat gleich noch einen Plattenspieler dazugekauft. Als ich meinem Chef das erzählt habe, war der still.“

„Ich will immer an die Front“, sagt Langner. Deshalb sei er Verkäufer geblieben und nicht Abteilungsleiter geworden auf seiner Tour durch diverse Kaufhäuser im Ruhrgebiet. Seit 28 Jahren ist er bei Kaufhof in Essen, früher Horten. Ist ihm der Frontdienst nicht langweilig? Die Frage versteht er nicht: „Das Essen wird doch auch nicht langweilig, nur weil man es jeden Tag macht.“

Man muss ihn beobachten, wenn er verkauft. Ein schlanker, großer Mensch, der in den Stoßzeiten vor allem deshalb in den zentralen Regalen herumräumt, damit ihn die Kunden sehen können. Der den Blicken nicht ausweicht, der sie sucht. Der dicht an die Menschen herantritt, ihnen tief in die Augen schaut, sie ausreden lässt. „Ausreden lassen, das ist überhaupt das Wichtigste. Und dann die Leute nicht volllabern mit Detailkenntnissen. Das ist überhaupt das Schlimmste. Der Kunde steht dann dumm da. Man darf als Verkäufer nicht über den Menschen triumphieren.“

Langner behandelt seine Kunden so, wie er selbst behandelt werden möchte. Fair. Er ist mit sich selbst im Reinen. Wohl auch deshalb ist er immer noch Verkäufer. Wenn er etwa eine bestimmte Taschenlampe nicht auf Lager hat, verweist er auf die Konkurrenz, denn, „die Leute sind dankbar für jede vernünftige Antwort. Ich will helfen und Umsatz machen. Wer hilft, der schafft Verbindlichkeit“.

Und nur wer nachfragt, erfährt, was der Kunde wirklich will. So wie im Weihnachtsgeschäft, als ein Mann Schokotäfelchen wollte. Für eine Betriebsfeier, wie Langner auf Nachfrage erfuhr, hunderte Packungen, mehr, als auf Lager war. Langner besorgte die Täfelchen und die Verpackung gleich mit. Er hat auch schon dutzende Mixer und Staubsauger für eine Firmen-Tombola organisiert. „Wenn ein Kunde so gezielt fragt, dann muss es bei einem Verkäufer blitzen“, sagt er und lacht. Er zögert ein wenig, seine Hände beschreiben vor der Brust eine Geben-Geste: „Es macht mich … irgendwie glücklich.“

Dabei hätte er Grund, unzufrieden zu sein, allein wegen des Gehalts, rund 2000 Euro im Monat, brutto. „Der Tarif ist beschissen, und ich fühle mich oft zerrissen zwischen meinen Kunden und all den Sachen, die ich außerdem machen muss. Aber das hat keinen Einfluss auf die Liebe zu meinem Beruf.“

Seinen Beruf versteht er als Beziehungsarbeit „von Mensch zu Mensch. Der Kunde ist König, für den König bin ich da. Ich erwarte aber, dass er sich auch wie ein König benimmt. Ein bisschen Anstand, mehr verlange ich nicht. Das fängt schon bei der Begrüßung an. Ich sage ja auch nicht: Guten Tag, du Idiot.“ Jeden Tag begegnen ihm Menschen, die misstrauisch sind, die herumbrüllen. „Ich lasse sie ausreden und frage dann: Was kann ich tun? Und man mag es kaum glauben – das funktioniert.“

Auch Langner ist nur ein Mensch. Manchmal geht er in den Garten und brüllt „Arschloch!“

Eigentlich erstaunlich, dass Langners Liebe zu seinem Beruf nicht erkaltet ist. Obwohl immer mehr Kunden sich allein für den Preis interessieren und er seinen Beruf zunehmend als entwertet sieht. Sich beim Verkäufer zu informieren, dann billig im Internet zu bestellen, er kennt das. „Manchmal koche ich innerlich, aber ich verziehe nicht das Gesicht.“ Später sagt er: „Manchmal gehe ich in meinen Garten und brülle ,Arschloch!‘.“

Vielleicht ist auch das eines der Geheimnisse des Verkäufers. Er stürzt sich hinein in seinen Beruf, aber er kann auch einen Strich ziehen. Zu Hause. Dort entspannt er sich beim Basteln an einem Schwimmkran für ein Hamburger Museum, 1,40 Meter mal 40 Zentimeter. Wenn er davon erzählt, beschreibt Peter Langner mit den Armen die weiten Bewegungen des Auslegers und blättert rastlos in Zeichnungen. „Ich hätte Ihnen den so gerne gezeigt, aber ich bin ja nun krank, und wir können nicht ins Gartenhaus.“ Seinen Urlaub verbringt Peter Langner seit 20 Jahren auf einem Campingplatz im Emsland, an der Alten Ems, aus der er in langen, stillen Stunden bis tief in die Nacht dicke Fische angelt.

Herr Langner, gibt es etwas, was Sie noch aus der Fassung bringen kann, was eine echte Herausforderung wäre? Er überlegt kurz und lacht: „Die Miederwarenabteilung, das wäre was. Mutig genug dafür wäre ich wohl – aber erst nach ein paar Lektionen Warenkunde.“

Zum Abschied holt er noch schnell einen Zettel mit einer Geschichte, die er vorliest. Darin geht es um Götter, die einen guten Platz suchen, um die Weisheit zu verstecken. Sie wählen nicht den höchsten Berg, nicht das tiefste Meer. Peter Langner trägt den Vorschlag des weisesten Gottes vor: „Lasst uns die Weisheit im Menschen selbst verstecken. Er wird dort erst dann danach suchen, wenn er reif genug ist, denn er muss dazu den Weg in sein Inneres gehen.“

Peter Langner hebt den Kopf und nickt. --

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