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GEO Wissen, Heft 41, 2008                                                                                                zurück zur Übersicht

Geld her – oder: Die Verführung zum Konsumrausch

Jugendliche haben enorm viel Kaufkraft, und sie beeinflussen die Entscheidungen der gesamten Familie. Mit immer geschickteren Stratgien versuchen Unternehmer und Marketingagenturen an die Geldbörden der Teenager zu kommen.

Bei Saft, Cola, Schokokuchen und Salamistullen sitzen vier Schüler im ersten Stock eines Fabrikgebäudes in Berlin-Friedrichshain um einen hellen Holztisch und schauen auf ein Foto. Es zeigt, wie sich eine breite, weiße Linie über einen scheinbar endlosen hölzernen Bauzaun zieht. Auf dem Weiß schlängelt sich ein schwarzer Strich, der mal die Form eines Hasen, mal die eines Schmetterlings oder eines Menschen annimmt und schließlich als Internetadresse www.skypen.de zu lesen ist. „Sieht wie Krakelschrift aus“, mäkelt Ada, 16. „Nicht so aufregend“, meint Antonia, 15.

Nächstes Foto: eine Rolltreppe mit weißem Handlauf, darauf der gleiche schwarze Strich mit der Internetadresse. Das finden alle „cool“ und irgendwie interessant. Gut möglich also, dass der Stifteproduzent Herlitz demnächst mit Rolltreppen für seinen „Tintenroller für alle stilbewussten Teens“ werben wird: Die Berliner Schüler haben eine neue Werbekampagne der Agentur „cobra youth“ getestet. Eine Erfolgsgarantie ist eine solche Gruppensitzung indes nicht. „Jugendliche sind unberechenbar. Einfach einen Knopf drücken und fertig, so funktioniert das beim Jugendmarketing nicht“, sagt der Agenturchef Christopher Schering.

Unzählige Unternehmen und Agenturen wollen an das Geld der Teenager. Um deren geheimen Wünsche zu dechiffrieren oder erst zu wecken, ver-teilen Trendforscher Fragebögen, stellen sich auf den Schulhof, suchen das direkte Gespräch. Welche Marken sind gerade gefragt? Welche Farben muss man tragen? Sind Palästinensertücher prollig oder nicht? Schreibt noch jemand mit dem Füller?

ES GEHT UM SEHR VIEL GELD. Die 13- bis 17-jährigen Deutschen verfügen jährlich über 4,2 Milliarden Euro, pro Kopf sind das knapp 1000 Euro. Zwei Drittel der jungen Erwachsenen legen sich bei Konsumprodukten auf ihre Lieblingsmarken fest, noch ehe sie 18 Jahre alt sind. Und sie beeinflussen die Kaufkraft der Eltern.

Dabei sind Jugendliche einem immensen Werbedruck ausgesetzt. Allerdings herrsche ein Ungleichgewicht, so der Bielefelder Wirtschaftssoziologe Elmar Lange, denn die manipulativen Kräfte der Unternehmen seien größer als die Möglichkeiten zur Gegenwehr. Außerdem erfüllen Marken bei Heranwachsenden wichtige Funktionen, ob die Eltern das gut finden oder nicht. Die angesagte Jacke, die richtigen Schuhe geben scheinbare Sicherheit in einer Welt, in der Teenager ihren Platz erst noch finden müssen. Und sie dienen der Abgrenzung gegenüber anderen – ein Grundbedürfnis während der Pubertätsjahre. Andererseits wollen Jugendliche den Eindruck haben, dass sie selbst über das bestimmen, was sie cool finden und kaufen; kaum jemand würde zugeben, einem Trend zu folgen. Außerdem ändern sich die Vorlieben rasch. Was heute „in“ ist, ist morgen schon wieder „out“.

Reine Produktwerbung in TV-Spots und Anzeigen hat da oft nur noch wenig Chancen. Es geht heute vor allem um das Image eines Herstellers, um die Gedanken und Gefühle, die mit einem Markennamen verbunden sind. Emotionen, der Einfluss von Freunden, die Sucht nach dem ständig Neuen – in diesem psychologischen Dreieck agieren die Gestalter der Markenwelten.

Beispiel Kleidung. Dafür geben Jugendliche den größten Teil ihres Geldes aus, die Konkurrenz ist entsprechend groß. Dennoch verzichtet der Jeanshersteller Levi’s seit 2007 auf TV-Werbung, hat stattdessen im Internet eine Musikplattform gegründet und veranstaltet Clubtouren mit Bands. Außerdem stattet das Unternehmen Künstler und Moderatoren im Musikfernsehen aus. Zugleich pflegt der Pressesprecher Alexander Matt ein Netz aus Szenegängern in großen deutschen Städten. „Wir haben jeweils einen Pool von bis zu 50 Leuten. Die laden wir zu Partys an ungewöhnlichen Orten ein, etwa einer Currywurstbude, und statten sie mit unseren Kleidungsstücken aus.“ Dass diese Aktionen von Levi’s gesteuert sind, findet keine Erwähnung.

Eine andere Strategie hat der Konkurrent Lee gewählt. Zentrales Marketinginstrument ist die Internetplattform „Make History“. Besucher sehen dort keine Jeansmodelle, sondern können selbst gemachte Fotos einschicken. Die besten Aufnahmen schaffen es als Anzeige in Modemagazine. Was Lee davon hat? „Den Ruf, so etwas zu ermöglichen, das Image“, sagt die Marketingchefin Anne Fahr, „letztendlich verkaufen wir ein Lebensgefühl. Aber eine Hose an sich hat nun mal keine Seele.“

Lee ist ein Beispiel für den Trend, Internet und reale Welt zu verknüpfen. Rund 80 Prozent aller Jugendlichen informieren sich über neue Produkte im Netz, so eine Allensbach-Studie. Selbst ganz normale Reklame bleibt, ins Internet gestellt, häufig besser haften als in Form eines TV-Spots – weil sie sich nicht wegzappen lässt. Das gilt etwa für  Internet-Computerspiele, bei denen Werbebotschaften stets aktualisiert werden können, zum Beispiel als Bandenwerbung bei virtuellen Autorennen. Auch die Vernetzung Jugendlicher untereinander mittels Computer und Mobiltelefon ist ein beliebtes Einfallstor für Werbebotschaften. Laut einer Studie haben junge Deutsche im Schnitt 86 Telefonnummern in ihrem Telefon gespeichert und 55 Freunde in diversen Web-Gemeinschaften.

Wer einen einzigen Jugendlichen begeistert, hat die Chance, dass eben dieser die Botschaft an Freunde weiterschickt, die wiederum aufs Knöpfchen drücken. Das nennt sich dann „viraler Effekt“. Aber wie pflanzt man ein Virus in die Lebenswelt der Jugendlichen? Etwa mit dem kleinen Film des Sportartikelherstellers Nike, in dem der Fußballstar Ronaldinho viermal nacheinander gegen die Torlatte schießt – und der 18 Millionen Mal von der Nike-Homepage herunterge-laden wurde, weil jeder sich fragte: Ist so etwas wirklich möglich?

Zum Gesprächsstoff werden statt „Kauf mich!“ schreien: Das ist entscheidend beim Jugendmarketing. Originelle Bot-schaften verbreiten sich von allein, vor allem, wenn sie nicht als Werbung daherkommen. So gibt es auf „YouTube“, dem weltgrößten Videoportal für selbst gedrehte Clips, populäre Filmer, die unter den Nutzern einige Tausend „Abonnenten“ haben – Fans, die sich regelmäßig deren neuen Werke ansehen. Felix Holzapfel von der Kölner Marketingagentur „conceptbakery“ vermittelt die You-Tube-Filmer an Unternehmen, damit sie Werbeclips drehen. Denn interessanter als ein Werbespot etwa des Fernsehgeräteproduzen-ten Sharp ist für viele Jugendliche der neueste Streifen eines bekannten YouTube-Filmers, noch dazu, wenn gar kein TV-Gerät auftaucht und erst im Abspann das Sharp-Logo erscheint.

Inzwischen ist die gesamte Lebenswelt der Jugendlichen fast vollständig von Werbung infiltriert. Entsprechend wächst ihr Miss-trauen. „Es gibt ein diffuses Unbehagen“, meint Bernhard Heinzlmaier, Geschäftsführer der Trendagentur „tfactory“: „Man kann kaum mehr einer Botschaft trauen.“ Glaubwürdigkeit heißt die Devise. Und so geht das Rennen zwischen Unternehmen und Kundschaft in die nächste Runde, im Visier: die Schule als letzte fast werbefreie Zone. Reine Produktwerbung ist dort derzeit nur in den Bundesländern Berlin, Bremen und Sachsen-Anhalt gestattet; bundesweit erlaubt ist hingegen das Sponsoring. So schickte der Traubenzucker-Hersteller Dextro Energy eine junge Gedächtnistrainerin durch 50 Schulen und ließ sie Kurse zum effektiven Lernen abhalten.

„Gut gemachtes Sponsoring ist Partnerschaft auf Augenhöhe“, meint Helmut Schorlemmer, Rektor des Pestalozzi-Gymnasiums in Unna und Schulsponsoring-Berater des Landes Nordrhein-Westfalen. „Wir machen Projekte, die den Erziehungsauftrag unterstützen, und nichts, was den Schülern nur das Geld aus der Tasche ziehen soll.“ Die örtliche Sparkasse unterstützt die Bläserklasse, der Pharmakonzern Schering stiftet Geräte fürs Chemielabor. Hauptgegenleistung, so Schorlemmer, sei der „Spricht-sich-rum-Effekt“. Reklameschilder gibt es an Schorlemmers Gymnasium nicht.

Das Problem beim Schulmarketing: Die Grenzen zwischen plumper Werbung und Sponsoring sind fließend. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat nach vierjährigem Verfahren eine Aktion der Firma Kellogg endgültig gestoppt, die laut Urteil die geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern und Jugend-lichen ausnutzte. Die jungen Kunden sollten auf Kellogg-Produkten sogenannte Tony Taler sammeln und dann von der Schule abgestempelte Sammelhefte gegen Sportmaterialien wie zum Beispiel ein Badmintonset eintauschen. Zumindest vorläufig unterbunden haben die Verbraucherschützer eine Aktion von Bahlsen, die laut Gerichtsurteil einen unzulässigen Kaufzwang ausübte. Schüler konnten dabei „Klassenfahrt-Punkte“ auf Bahlsen-Produkten sammeln, die sich gegen verbilligte Dreitagereisen eintauschen ließen.

Auch auf Helmut Schorlemmers Schreibtisch stapeln sich Angebote der etwas zweifelhaften Art: Ein Computerspielehersteller möchte Schul-hefte stiften – deren Frontseite gleicht einem Reklameplakat. Agenturen bieten werbeverzierte Poster, Freikarten, Schirme und Fußabtreter an. „Aus der Finanznot heraus werden Grenzen überschritten“, so Schorlemmer, „vielleicht ist es auch Nachlässigkeit oder Resignation. Die Wirkung auf die Schüler jedenfalls ist verheerend. Schule soll kritische Menschen heranziehen, aber so verkauft sie ihre Werte für billiges Geld.“

DIE SCHULD AM VERSCHWINDEN der letzten werbefreien Orte wird häufig allein der Wirtschaft angelastet. Doch das ist zu einfach. „Marketing verfängt sich nur in Lücken, die Eltern und Gesellschaft bei den Jugendlichen hinterlassen“, sagt der Frankfurter Psychologieprofessor Henning Haase. Wer also zu Hause nie über Geld spricht, muss sich nicht wundern,  dass Kinder mit Geld nicht umgehen können. „Weniger gefährdet sind Kinder, deren Eltern sie an dem teilhaben lassen, was das Leben sonst noch bietet“, erklärt der Psychologe: „Konzerte, Sport, Ausflüge, Gefühle und Gedanken. Aber Eltern müssen natürlich selbst Ziele haben.“ Außerdem sollten Jugendliche begreifen, dass Konsum heutzutage ein Teil des Lebens ist. „Also muss man konsumieren lernen, genau wie lesen und schreiben“, sagt Haase. „Sparen, disponieren, Preise vergleichen, Geschmack entwickeln – all das gehört zu den Spielregeln unserer Gesellschaft.“

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